
Rügen, eine idyllische Ostsee-Insel bekannt für ihre beeindruckenden Dünenlandschaften und Strände, beherbergt ein monumentales Relikt aus der Zeit des Nationalsozialismus – den „Koloss von Prora“. In Prora, einem Ortsteil der Insel, wurde diese historische Ferienanlage am 2. Mai 1936 von der NS-Organisation Kraft durch Freude (KdF) ins Leben gerufen. Die Anlage, die mit einer beeindruckenden Länge von viereinhalb Kilometern und acht baugleichen Häuserblocks aufwartet, sollte einst als Seebad für 20.000 deutsche Arbeiter dienen. Tatsächlich sollte sie 10.000 Zimmer bieten, die jeweils schlicht ausgestattet und für zwei Personen konzipiert waren, alle mit Blick auf die Ostsee. Die Baukosten wurden auf etwa 237 Millionen Reichsmark geschätzt, was in heutigen Euro rund 850 Millionen entspricht.
Die Planung und der Bau der Anlage lagen in den Händen des Architekten Clemens Klotz, dessen Entwurf 1937 auf der Weltausstellung in Paris mit dem Grand Prix ausgezeichnet wurde. Doch der Zweite Weltkrieg verhinderte die vollständige Nutzung der Ferienanlage. Bereits im Jahr 1939 war nur der Rohbau fertiggestellt. Bedingt durch den Krieg wurde Prora in den folgenden Jahren für militärische Zwecke umfunktioniert: Teile der Anlage dienten als Ausbildungseinrichtung und Lazarett. 1945 sprengten die Truppen der Roten Armee Teile des Nordflügels, sodass das Bauwerk teilweise stark beschädigt wurde. Die unvollendeten Blöcke wurden später von der Sowjetunion als Internierungslager sowie von der Wehrmacht genutzt.
Nachkriegszeit und Wandel im Laufe der Jahre
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam die Anlage unter sowjetische Kontrolle. Hier diente sie als Unterkunft für Heimatvertriebene. In der Zeit der DDR wurde Prora von der Nationalen Volksarmee (NVA) genutzt und war für die Öffentlichkeit unzugänglich, da das Areal zum Sperrgebiet erklärt wurde. Nach der Wiedervereinigung 1990 übernahm die Bundeswehr die noch verbliebenen Gebäude, gab diese jedoch 1992 auf. Erst seit Anfang 1993 ist das Gelände für die Öffentlichkeit zugänglich. 1994 wurde Prora unter Denkmalschutz gestellt, und es entstanden Museen sowie Ausstellungen zur bewegten Geschichte des Ortes.
In den 2000er Jahren begann man mit dem schrittweisen Verkauf und der Sanierung von Teilen der Anlage. Ab 2015 wurden insbesondere die Blöcke I und II modernisiert und in Wohnungen sowie ein Hotel umgewandelt. Die Preise für die sanierten Wohnungen liegen mittlerweile bei bis zu 6.500 Euro pro Quadratmeter. Der Koloss von Prora erlangte auch international Aufmerksamkeit, jüngste Bilder haben in sozialen Medien wie der Facebook-Gruppe „Welcome to Germany“ für Diskussionen gesorgt. Während US-Bürger teils schockiert auf das Bauwerk reagierten, betonen einige Deutsche und Rügener die positiven Aspekte, die mit der Entwicklung von schönen Ferienwohnungen einhergehen.
Von Spannungen und Faszination
Die duale Wahrnehmung des Kolosses von Prora zeigt sich in den unterschiedlichsten Reaktionen: Während einige das Bauwerk als verstörend empfinden, finden andere es faszinierend. Der historische Kontext ist unübersehbar, da der Koloss nicht nur ein Relikt der NS-Zeit ist, sondern auch eine spannende Fusionsfläche zwischen Geschichte und modernem Leben darstellt. In 2018 wurde Prora offiziell als staatlich anerkannter Erholungsort ernannt, und 2011 wurde hier sogar die größte Jugendherberge der Welt mit 100 Zimmern und 400 Betten eröffnet.
Doch während die Anlage weiter saniert wird und die touristische Attraktivität steigt, meldete das Prora-Zentrum, das sich mit der NS- und DDR-Geschichte beschäftigt, 2024 Insolvenz an. Diese Widersprüche in der Geschichte und in der Nutzung des Kolosses werden auch in Zukunft das öffentliche Interesse und die Diskussionen über Prora anheizen. In einer Welt, in der die Erinnerungen an die Vergangenheit lebendig bleiben sollten, bleibt der Koloss von Prora ein beeindruckendes und herausforderndes Denkmal der Geschichte.