
Die Premiere von „Unser Deutschlandmärchen“ am 17. Januar 2025 im Theater Aachen hat die Zuschauer in ihren Bann gezogen. Inszeniert von Antigone Akgün, mit einer Bühnenfassung, die sie zusammen mit Sara Gabor entwickelt hat, basiert das Stück auf dem autobiografischen Roman von Dinçer Güçyeter, der für sein Werk 2023 mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichnet wurde. Die Aufführung spielt in einer nachgebauten Kneipe, die mit Holzvertäfelung, hellblauen Vorhängen und Erinnerungsbildern ausgestattet ist, was die nostalgische Atmosphäre der Gastarbeitermilieus einfängt.
Im Mittelpunkt der Handlung steht die Familie Güçyeter, deren Lebensweg typischen Herausforderungen von Gastarbeitern in Deutschland reflektiert. Die Mutter Fatma, dargestellt von Bettina Scheuritzel, kämpft sich durch verschiedene Jobs in der Kneipe, auf dem Feld und in der Fabrik, während die Stammgäste mit ihren Schulden zu kämpfen haben. Diese sozialen Probleme werden in einem menschlich-komödiantischen Licht beleuchtet, ohne die Charaktere lächerlich erscheinen zu lassen. Die Großmutter, gespielt von Petya Alabozova, tritt als strenges Energiebündel auf, während Shehab Fatoum den windigen, feierwütigen Vater verkörpert.
Gesänge der Sehnsucht und Rassismus
Ein markantes Merkmal der Inszenierung ist die musikalische Untermalung, darunter das Lied „Gurbet“ von Özdemir Erdoğan, das vom Schauspieler Furkan Yaprak gesungen wird. Die Aufführung beinhaltet eine Playlist von „Songs of Gastarbeiter“, die Themen wie Schmerz, Sehnsucht und Rassismus behandelt. Die Momente von Heiterkeit wechseln sich dabei mit melancholyistischen Tönen ab, die ein realistisches Bild der Lebensrealität von Migranten zeichnen.
Ein besonders kritischer Bestandteil der Inszenierung ist die Thematisierung von Rassismus in Deutschland. Die Erwähnung von Terroranschlägen, wie den Brandanschlägen in Mölln (1992) und Solingen (1993), unterstreicht die anhaltenden Vorurteile und die gefühlte Bedrohung, die viele Migranten erleben mussten. Diese historische Kontextualisierung ist besonders relevant, da viele der ursprünglichen Migranten vor über 60 Jahren im Rahmen von Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei nach Deutschland kamen, um Arbeitskräfte zu mobilisieren.
Ein Spiegel der Gesellschaft
Dinçer Güçyeter, der Autor des zugrunde liegenden Romans, ist nicht nur ein mehrfach ausgezeichneter Schriftsteller, sondern auch ein Verleger, der die Geschichten seiner Eltern poetisch thematisiert. Sein Ziel ist es, den Einheimischen das Leben und die Erfahrungen von Gastarbeitern näherzubringen, die oft losgelöst von der breiten gesellschaftlichen Wahrnehmung erzählt werden. Diese Perspektive wird im Theater Aachen nicht nur erzählt, sondern wird durch eine künstlerische Gestaltung sichtbar gemacht, die die Konflikte und das Streben nach Integration dramatisiert.
Abschließend verdeutlicht die Aufführung das ständige Kämpfen um die Anerkennung und die Träume der Migranten. Die Inszenierung endet mit einem symbolischen hellblauen Schuh, der den Traum der Mutter repräsentiert, eines Tages die Früchte ihrer harten Arbeit genießen zu können. Insgesamt dauert das Stück 1 Stunde und 45 Minuten, ohne Pause, und zieht sein Publikum durch die emotionale Tiefe und die gesellschaftskritischen Themen in seinen Bann. Während das Stück die Geschichten von Gastarbeitern beleuchtet, bleibt die allgemeine Diskussion um Integration und Anerkennung in Deutschland weiterhin relevant.