
In der Türkei haben Proteste gegen die Festnahme von Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoglu in den letzten Tagen an Intensität gewonnen. Bereits am Mittwoch wurde Imamoglu, der für die oppositionelle CHP steht, im Rahmen von Ermittlungen wegen angeblicher Korruption und Terrorverbindungen verhaftet. Dies führte zu landesweiten Demonstrationen, die trotz eines vier Tage währenden Demonstrationsverbots in Istanbul stattfanden. Laut Berichten trafen sich Tausende von Menschen, darunter auch der Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavas, der die Oppositionsparteien zur Einheit aufrief. Die Demonstrationen verliefen überwiegend friedlich.
Imamoglu gilt als einer der Hauptgegner von Präsident Recep Tayyip Erdogan und wird von vielen als potenzieller Herausforderer bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen 2028 angesehen. Seine Verhaftung wurde von der CHP als versuchter Staatsstreich betrachtet. Der Druck auf die Regierung dürfte steigen, da die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen besorgt über die Entwicklungen ist. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtet über mindestens 87 Festnahmen im Zusammenhang mit den Protesten, während gegen 106 weitere Personen ermittelt wird.
Proteste und politische Repression
Die Proteste stellen eine ernsthafte Herausforderung für die Regierung Erdogans dar. Viele Bürger sind frustriert über die politische Unterdrückung und die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage. Über 20 Jahre regiert Erdogan bereits die Türkei und hat die politische Opposition trotz massiver Repressionen nicht vollständig ausschalten können. Quellen zufolge könnten die Proteste eine ähnliche Dimension wie die Gezi-Proteste vor zwölf Jahren erreichen. Die Journalisten der FAZ und der STUTTGARTER ZEITUNG berichten, dass Erdogans Machtposition zunehmend fragiler wird und einige Medien den Präsidenten als machtsüchtigen Autokraten beschreiben.
Dennoch ist die Reaktion der internationalen Gemeinschaft geteilt. Während die SÜDWEST-PRESSE fordert, dass die EU die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei einstellen sollte, hebt die AUGSBURGER ALLGEMEINE hervor, dass Deutschlands Haltung gegenüber Ankara als zu passiv kritisiert wird. Auch auf den Straßen Istanbuls gibt es eindeutige Botschaften: Über soziale Medien ruft Imamoglu zur Fortsetzung der Proteste auf.
Politische Herausforderungen und die Wahrnehmung der Justiz
Experten und die CHP sehen in den gegen Imamoglu erhobenen Vorwürfen eine politisch motivierte Kampagne. Gerichtsurteile gegen politische Gegner von Erdogan werden häufig als Instrument zur Machtsicherung wahrgenommen. Dies zeigt sich insbesondere im Umgang mit der CHP, deren Mitglieder immer wieder ins Visier der Justiz geraten. Der Justizminister weist die Vorwürfe einer politischen Motivation zurück, doch viele Beobachter sehen dies differenzierter.
Mansur Yavas, der Bürgermeister von Ankara, hat sich ebenfalls den Protesten angeschlossen und betont, dass die politische Opposition sich solidarisieren muss. Mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen könnte der Druck auf Erdogan durch solch gesteigerte Proteste und die Unzufriedenheit der Bevölkerung weiter wachsen. Dennoch kämpfen die Protestierenden nicht nur gegen die Regierung, sondern auch gegen die zunehmend restriktiven Maßnahmen der Polizei, die Zufahrtsstraßen nach Istanbul blockieren und Hunderte von Demonstrierenden festnehmen.
Eindringlich wird vor den anstehenden Wahlen gewarnt – viele Türken erhoffen sich einen Politikwechsel, insbesondere nachdem Imamoglu die Bürgermeisterwahl in Istanbul 2019 gewonnen und damit Erdogans AKP eine herbe Niederlage beigebracht hat. Ein massives Wahlsystem zugunsten der Opposition könnte 2028 zu einem erneuten Machtvakuum führen, wenn die Bürger die Möglichkeit ertasten, für Veränderung zu stimmen.